1×11 Schaltung – Langzeiterfahrungen mit SRAM und Co.: von c_g und Oli

Die Welt der Schaltungen hat sich in den letzten Jahren gravierend gewandelt. Wie auch bei den Laufradformaten findet nach jahrzehntelanger Ruhe aktuell eine regelrechte Revolution statt. Zuerst das Aufkommen von 2×10, parallel zur Popularität der 29er, dann die revolutionäre 1×11 von SRAM in Form der XX1 und ihrer zahlloser Nachfahren und Nachahmer.

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erste Versuche mit 1-fach  …  das CUBE Stereo in USA

Die Anfänge im TNI-Test:

Wie ihr wisst liegen meine ersten ernsthaften Versuche zu 1-fach Schaltungen auch schon über 1 ½ Jahre zurück, als ich damals mit einer 1-fach Schaltung in die USA aufgebrochen bin um die Trails um Sedona und Flagstaff zu erobern.
Damals hatte ich eine 1×10 Kassette mit einem WOLFOOTH Drop-Stop Nachrüstkettenblatt (…zur Sicherheit hatte ich aber noch ein kleines Kettenblatt für sehr steile Anstiege montiert). Die überwiegend positiven Erfahrungen damals haben mir die Augen für das Potential der 1-fach Schaltungen geöffnet.

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Die Ersten Erfahrungen:

35 XX1 Kurbel Achensee Kopie

Die SRAM XX1 am RADON Balck Sin im alpinen Einsatz

Umso mehr habe ich mich gefreut, schon bald „the Real Thing“ die SRAM XX1 am RADON Black Sin 10.0 ausführlich fahren zu können und auch in den Alpen auf Herz und Nieren zu testen. Das Ergebnis war herausragend und für mich ernsthaft überraschend: Die 11-fach Schaltung mit einem 30er Kettenblatt und der 10-42 Kassette ist auf einem sehr leichten Bike sehr wohl alpentauglich.

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1x 11 Im Langzeittest

Als dann im Frühwinter 2013 unsere komplette SRAM X01 Testgruppe eintraf, war die Gelegenheit das System auch auf einem „normalgewichtigen“ Bike auszuprobieren Die Vorstellung der Gruppe mit allen Gewichten erfolgt hier im Testintro. In den nunmehr vergangenen 12 Monaten bin ich dem 1-fach Konzept treu geblieben. Ich habe zwar für diverse Tests mehrfach die Kurbeln und Kettenblätter gewechselt, bin aber immer die gleiche 11-fach Kassette und das X01 Schaltwerk gefahren.

  21 SRAM X01 complete  20 SRAM X01 komplett

Ehe ich daher auf grundsätzliche Beobachtungen eingehe ein paar Worte zur Performance der SRAM X01 Bauteile im Dauereinsatz: Weder die Kassette, noch das Schaltwerk haben mir je Anlass zur Klage gegeben. Knackig, schnell und präzise waren die Schaltvorgänge vom ersten Tag an und auch nach zig-tausend Höhenmetern sind sie es weiterhin.

Es gab eine kurze Phase, in der ich dachte, dass sich die Schaltpräzision kurz verschlechtert hätte, aber das lag lediglich an einer Schaltwerksschraube, die sich gelockert hatte. Wieder angezogen war die Performance wieder auf Top Niveau. Die aus einem Block gefräste Stahl-Kassette ist ebenfalls ein Muster an Langlebigkeit und bis auf oberflächlichen Abrieb, wirkt die das Fräs-Kunstwerk kaum verschlissen. Wenigstens amortisiert sich der immens hohe Preis hier durch eine spürbar höhere Kilometerleistung der Kassette.
Letztlich kann ich, was die Haltbarkeit und Performance angeht, meine uneingeschränkte Empfehlung für die SRAM X01 Bauteile aussprechen.

16 DT-SWISS OPM

1×11 im Traileinsatz

Die erhöhte Kettenspannung der SRAM Type2 Schaltwerke reduziert das Kettenschlagen übrigens stark gegenüber herkömmlichen Schaltwerken, je nach Bauart des Rahmens und der Fahrweise, reicht es aber nicht völlig um ein Kettenschlagen gegen die Kettenstrebe 100% zu verhindern. Kettenabwürfe während der Fahrt gab es weder in der kompletten SRAM-Ausstattung, noch mit den diversen Nachrüstkettenblättern von WOLFTOOTH, RACE FACE oder ROTOR zu beklagen. Jede der getesteten Kombis aus speziellen Kettenblättern und schwingungsgedämpftem Schaltwerk (á la SRAM Type 2 oder SHIMANO Shadow Plus) hat uns bisher nur mit guten Ergebnissen verwöhnt.

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Ergebnisse:

A, Trigger-Shifter vs. Grip-Shift:

Nicht ganz so glücklich war ich allerdings mit den Trigger-Shiftern bei der 1×11 Schaltung. Während es rein funktionell keinerlei Anlass zur Kritik gab, ist sehr schnell das ständige Drücken der sehr ergonomischen Hebel hin zu einem schnelleren Gang auf den Nerv gegangen. Hin zu einem leichteren Gang kann man bis zu 3 Gänge mit einem Klick schalten, runter muss man aber jeden Gangsprung mit einem eigenen Klick ansteuert. Vor allem wenn man kupierte Trails mit schnellen Tempowechseln fährt, ist der rechte Daumen fühlt man sich an eine Ballerspiel einer der bekannten Konsolen erinnert. SHIMANO kann das deutlich besser und schneller.

30 SRAM X01 Grip Shift

Nach den ersten Monaten erfolgte der Umstieg auf Grip-Shifter … eine gute Entscheidung!

Dieser Grund hat mich dann dazu bewogen meine Schaltung nach ca. 5 Monaten auf Grip-Shifter umzurüsten und obwohl ich an sich kein großer Fan der Dreh-Schalthebel bin, halte ich diese Wahl bei der 1×11 Schaltung weiterhin für die bessere, weil damit die Schaltgeschwindigkeit in beide Richtungen einfach deutlich besser ist. Zugegeben, die dazugehörigen Griffe waren nie so richtig mein Ding, aber was die Schaltperformance und Handhabung angeht, bin ich seither vollkommen glücklich. Durch die große Griffweite und die knackigen Schaltvorgänge ist es zu meiner eigenen Überraschung nie zu ungewollten Schaltvorgängen oder Fehlschaltungen gekommen, wie ich sie noch von früheren 9-fach Grip-Shiftern kenne (und wenig geschätzt habe).

28 SRAM X01

Die kürzeren ESI Chunky Griffe bieten für mich mehr Komfort als die Origialgriffe.

Oli schreibt dazu nach seiner Tour über den Karnischen Höhenweg mit dem NINER WFO9 ähnliches : „So sehr ich das „einfache“ und gewichtssparende Konzept einer 1×11 Schaltung, wie das der X1 von SRAM zu schätzen weiß, so habe ich doch gemerkt, dass  bei langen Touren ein Drehgriff für mich zwingend erforderlich ist – allerdings nur in kupiertem, welligem Gelände. Geht es mal ein paar hundert Meter am Stück bergauf, ist es vollkommen egal, ob man nun schnell die Gänge wechseln kann. Schließlich kann es sein, dass man mal für eine Stunde oder mehr im selben Gang bergauf fährt…“

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B, Die Kettenblattgröße macht’s

26 SRAM X01

Der Schlüssel des sehr guten Praxiseindrucks der 1-fach Schaltungen liegt klar in der großen Übersetzungsbandbreite der 11-fach Kassetten. Wer glaubt der eine Zahn nach unten (10 anstatt 11 Zähne beim kleinsten Ritzel bei der 10-fach Kassette) und das eine Ritzel nach oben würden keinen soooo großen Unterschied machen, wird unwillkürlich überrascht von deren Nutzenwert. Das „Bisschen“ etwa bringt eine ganz Menge und hält die Gangsprünge auf einem durchaus sinnvollen Niveau bei einer sehr sinnvollen Bandbreite – Hut ab für die Stimmigkeit des Konzeptes.
(Anmerkung: Ich muss gestehen, dass ich bisher nur wenig mit auf 40 oder gar 42 Zähne umgerüsteten 10-fach Kassetten unterwegs gewesen bin. Ob dies wirklich in der Praxis Sinn machen bleibt in einem weitern Test kommendes Jahr zu ergründen.)
Doch bei aller anfänglichen Begeisterung merkt man schon bald, dass man gegenüber 2- oder 3-fach Schaltungen doch Einbussen im Gesamtspektrum in Kauf nimmt. Interessanterweise ist mir das anfangs beim sehr leichten RADON Hardtail kaum aufgefallen, beim ROCKY Instinct, das je nach Ausstattung aber zwischen 11,8 und 13 kg gewogen hat, aber sehr wohl. Auf meinen normalen Trails mit zum Teil sehr steilen Anstiegen, aber selten mehr als 150 Hm am Stück war das immer gut zu verschmerzen, aber in den Alpen habe ich mir doch immer wieder mal eine leichtere Übersetzung gewünscht.

Gott sei Dank ist die Auswahl der Nachrüstkettenblätter immens und man kann je nach Kurbelmodell von 26 bis 38 Zähnen alles machen. Ich selbst bin anfangs mit einem 32-Zahn und einem 30-Zahn Kettenblatt von SRAM gefahren. Auch wenn es auf sehr schnellen Straßenetappen zum Teil eng wurde, bin ich allgemein viel besser mit dem 30er zurecht gekommen.

32 WT DS direct Kopie

Dann mit Anfang der Tourensaison wollte ich die ultimative Bergauf-Performance ausprobieren  und habe das 26-Zahn Direct-Mount Kettenblatt von WOOLFTOOTH gefahren. Mit einem kleinsten Gang der sehr nahe an meiner bisherigen Bergauf-Lieblingsübersetzung (22/36) war ich natürlich von den Klettereigenschaften begeistert, bin aber in der Geraden und bergab zu schnell an die Grenzen gestoßen. Performance – toll, aber mit zu großen Kompromissen.

34 WT DS direct Kopie

Am Ende nach diversen Tests komme ich zu dem Schluss, dass für meinen Einsatz in hügeligem, kupiertem Gelände bis Mittelgebirge ein 30er Kettenblätter der beste Kompromiss in etwa 95% der Fahrsituationen ausreicht. Mit starken Beinen kommt man damit auch in alpinem Gelände noch zurecht und auf der Straße gerade noch mit einer schnellen Trittfrequenz zu treten. Auf sehr langen Touren und mit schwerem Gepäck steigen die Laktatwerte aber dann doch schnell in den roten Bereich.

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C, Die 1×11 also tourentauglich?

Ja, aber nur wenn man die Kettenblätter gegebenenfalls anpasst … denn eines muss man klar zugeben. Die Übersetzungsbandbreite einer 1×11 klar der einer 2×10 oder 3×10 hinterher hinkt und man eben in den Extremen Abstriche machen muss. Der oft sehr leichte Kettenblattwechsel vieler moderner Kurbeln (allen voran der SRAM XX1, bei der es komplett ohne jede Demontage in wenigen Minuten geht) kommt hier zwar mildernd dazu, aber jeder der sich eine 1-fach Schaltung überlegt, sollte vorher sein Schaltverhalten und seine Anforderungen genau überdenken.

39 NINER WFO9

TNI-Tester Oli mit dem NINER WFO9 (und einer SRAM X1) auf dem Kranichen Höhenweg unterwegs.

Olis Kommentar hierzu: „Es gilt sich sehr gut zu überlegen, in welchem Gelände man bevorzugt unterwegs ist und mit wem. Bergauf hätte ich mir manchmal ein 28er Kettenblatt vorne gewünscht, bergab und vor allem in der Ebene war ich dann um das 30er froh, da man sonst zu hochfrequent treten müsste. Wäre ich mit einer Horde Jungs aus meiner Mountainbikegruppe unterwegs gewesen, hätten sie mich bergab auch abgehängt oder ich hätte ein 32er montieren müssen. 30 x 10/42 ist ein guter Kompromiss, aber eben auch ein Kompromiss.“

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21 ONZA Ibex

..mit der SRAM X01 auf Tour unterwegs.

FAZIT: Zusammenfassend bleibt mir zu sagen, dass ich in dem letzen beiden Jahren ein echter Fan von 1×11 Schaltungen geworden bin. Nachdem SRAM mit der XX1 anfangs nur den echten High-End-Bereich adressiert hat, findet man mittlerweile dank der SRAM X01 und X1 (letztere hier vorgestellt und gefahren) 1×11 auch an Bikes ab 2000 Euro und damit in Reichweite der meisten Biker.

31 RF Next SL 1-fach
Am Ende zählen für mich neben dem sehr niedrigen Gewicht aber vor allem die Vereinfachung des Kettenatriebs, welche die 1-fach Schaltungen für die Massen symbolisieren (… ja, die Singlespeeder werden mich deswegen steinigen wollen ;-)). Nur einem Schalthebel zu haben, bei dauerhaft tadelloser Performance uns sehr großer Relevanz für die meisten Biker, zählt für mich  mehr, als die Tatsache  in ein paar Fällen nicht den idealen Gang zur Verfügung zu haben.

Ganz klar, 1×11 ist nicht der Weisheit letzter Schluss, das weiß auch SRAM und erkennt das Entwicklungspotential an. In einem Gespräch mit Chris Hilton von SRAM auf dem letzten Garda Festival über die 5 bis 10% in denen 1×11 eben doch ein Kompromiss ist, meint er, dass SRAM dies sehr ernst nehme und bereits an einer Lösung arbeiten würde. Für mich bleibt aber auch nach dem Langzeittest eines klar: 1×11 mit all seinen integrierten Technologien gehört zu den wichtigsten Innovationen der letzen Jahre im Bikebereich.

RIDE ON,
c_g

Ps: Ich bin gespannt was SRAM kommendes Jahr bringen wird um das Einsatzspektrum ihrer Schaltungen noch zu erweitern.