SCOTT Genius 910 – Erster Eindruck:  von Grannygear

11 SCOTT Genius 910 group ride

Hier ein Bild der Gruppe von Bikern auf der Jungfernfahrt des SCOTT Genius, bei der wir den Art Smith Trail nahe Palm Desert, Kalifornien gefahren (und geschoben) sind.  Der Trail besteht aus 28 km mehr technischem als flowigem Singletrack mit viel Felsen, sandigen Anstiegen und haufenweise Spitzkehren. Was für ein spannender Einstieg in einen Test!
Normalerweise habe ich die Regel mit keinem Bike auf richtige Touren aufzubrechen, das ich nicht vorher gut kennengelernt und vor allem eingestellt habe, doch die Gelegenheit war einfach zu gut … und es ging auch alles gut, allerdings habe ich einiges über das Genius gelernt.

Da wären zuerst einmal die Schwalbe Nobby Nic Reifen. Die haben beim Umrüsten auf schlauchlos in Form einer lange widerspenstigen Undichtigkeit genervt. Erst nach einer langen Dichtmilchfontäne und zweimaligen Nachpumpen war der Reifen endlich dicht. Seither gab es keine Probleme, aber ich halte meine Augen offen, denn wenn er plötzlich auf dem Trail undicht wird … und so kam es dann auch dass ich in Palm Springs angekommen nur noch 0,5 bar im Reifen hatte. Mist! Beim Nachpumpen raubte mir dann ein mehrfacher Wechsel aus dicht/undicht (jeweils begeleitete von einem Strahl Latexmilch) den letzten Nerv. Wider besseren Wissens bin ich dann, als er endlich dicht zu sein schien damit losgefahren …

13 SCOTT Genius 910

Ihr erinnert euch, dass ich das Genius in L geordert habe, während ich das Spark in XL gefahren bin. Ich wollte damit etwas mehr die Verspieltheit aus dem Bike herausholen. Und das hat geklappt! Ich habe mich von Anfang an sehr wohl auf dem Genius gefühlt – nicht zuletzt auch wegen des 100 mm langen Vorbaus. Die ersten 1 ½ h bestanden aus einem ständigen Wechsel aus Fahren und Schieben. Fahrend war es eine Folge aus Ansteigen über Felsstufen, sandigen Spitzkehren – alles in den kleinsten Gängen. Dazwischen immer wieder kurze technische Downhills. Hier bin ich fast permanent im Traction Mode gefahren. Mit einem reduzierten, straffen Federweg am Heck.

Nach einer Weile kam richtige Begeisterung auf, wie sich das Bike im Traction Modus fährt. Die 100 mm Federweg sind grandios um die Traktion hoch zu halten und erleichtern technische Ansteige immens, sie halten aber das Bike sehr hoch im Federweg und damit fühlt sich das Bike sehr kletterfreudig an. Die Kettenstreben sind mit 449 mm nicht rekordverdächtig kurz oder extrem lang, sondern genau in der Goldenen Mitte. Das Bike hatte keinerlei Tendenzen sich in Steilansteigen aufzubäumen und dennoch blieb es sehr gut um enge Spitzkehren zu manövrieren. Alles, was ich versucht habe mit dem Bike hochzukommen, bin ich auch hochgekommen. Bergab habe ich den Twin Loc Hebel immer aufgemacht und da hat mich das Bike mit richtig viel Komfort und Kontrolle verwöhnt. Nur in wirklich technischen und langsam zu fahrenden Etappen habe ich das Bike im federwegsreduzierten Traction Modus belassen.

14 SCOTT Genius 910

Am Umkehrpunkt kam dann der lange Downhill :-), gespickt mit felsigen Spitzkehren. Wieder einmal hat mich begeistert, wie sicher die 29er Laufräder über so ein Gelände rollen, ganz besonders wenn man mit niedriger oder mittlerer Geschwindigkeit fährt. Erst kurz vor dem Stillstand kommt dann ein etwas behäbiges Gefühl beim Genius durch … aber um ganz ehrlich sein, war dann das Gelände bereits so technisch, dass ich meist lieber abgestiegen bin. Auf dem gesamten Rückweg bin ich das Bike im Open Modus gefahren, selbst bei den kurzen Gegenanstiegen. Da hat es zwar doch ein wenig gewippt, aber mit gerade mal 0,3 bar mehr Druck im Dämpfer war auch das verschwunden und das Genius ist selbst mit vollem Federweg recht gut geklettert ohne hinten einzusinken.

Bisher fahre ich das Genius nur in der „Low“ Position, also mit einem allroundigen Lenkwinkel von 69°.

16 SCOTT Genius 910

Das Genius 910 fühlt sich … hmmm … „kleiner“ ist nicht ganz das Wort  nach dem ich suche … es fühlt sich recht kompakt für ein 130 mm 29er an. Ein Teil davon liegt sicher daran, dass es eben ein Rahmen in L ist (und nicht in XL), aber es fühlt sich für mich weniger massiv an wie etwa das Yeti SB95C, oder sogar das NINER RIP 9 (das ich ja erst vor kurzem im Test hatte). Das macht e sich sowohl in Steilanstiegen, wie auch in Spitzkehren positiv bemerkbar. Der steile Sitzwinkel des Genius 910 hilft dabei zusätzlich bei den Uphills und die Dropper Stütze sorgt für die nötige Bewegungsfreiheit im Downhill.

Wieder mal war es eine Wohltat, mit einer Dropper Stütze zu fahren, die einem einfach hilft mittig auf dem Bike in jeder Situation zu bleiben … ich liebe dieses Dinger!

Was mir bisher gut gefällt:

  • Das Genius fährt sich sehr kompakt und handlich, für ein 130 mm 29er. Ich fühle mich darauf keineswegs zu kompakt oder gar gedrängt, ganz im Gegenteil, aus der Riege der 130 mm Fullies fährt es sich bisher am effizientesten aller solcher Bikes.
  • Das Twin Loc System beeindruckt mich auch hier weiter. Auf dem Genius war es eine geniale Ergänzung zu dem Bike – bergauf, bergab und einfach nur auf dem Trail.
  • Das Bike besitzt eine sehr gute Fahrwerksbalance, selbst mit dem länger als normalen 100 mm Vorbau. Bisher bin ich der Meinung, dass es richtig war den Rahmen in L anstatt XL für den Test anzufordern, allerdings war die bisherige Trailtime auch geprägt von technischen und langsamen Trails. Auf schnellen Trails finde ich oft ein längeres Bike und einen kurzen Vorbau besser.
  • Das respektable Gewicht des Bikes von knapp über 13 kg, die tolle Effizienz beim Pedalieren, sowie die leichten Laufräder mache das Bike zu einem tollen Kletterer. Die Übersetzung von 24 vorn und 36 hinten war hier sehr passend.

Was ich nicht so sehr mag:

  • Da wären zum einen die SCHWALBE Nobby Nics, die keine solche Probleme im Schlauchlosbetrieb machen sollten. Die Reifen sind für ihre Performance extrem leicht und jedes Bike spart damit massive Gewicht, aber hier auf unseren felsigen südkalifornischen Trails sind sie Fehl am Platz. Ich finde die Seitenstollen zu flexibel auf harten Trails und an Robustheit fehlt es ihnen auch. Wenn ich in einer Gegen leben würde wo es erdiger und feuchter wäre – wie c_g in Mitteleuropa – wären sie wahrscheinlich klasse, aber hier …
  • 15 SCOTT Genius 910Die Hinterrad-Nabe an dem Bike nennt sich 360 und hat eben keinen stirnradverzahnten Freilauf, und die drei Sperrklinken verrichten ihre Aufgabe nicht immer ganz wie sie sollen. Auf dem Trail kam es bereits mehrfach vor, dass ich aus dem Leerlauf im Gegenanstieg in die Pedale getreten habe und dann knackte es laut in der Nabe, so als würden die Sperrklinken nicht sofort greifen und zuerst eine Rasterung durchrutschen. Das ist so oft und regelmäßig aufgetreten, dass ich mich irgendwann nicht mehr getraut habe aggressiv in die Pedale zu treten, und für den Rest der Tour erstmal vorsichtig Druck gegeben habe. Zuhause habe ich den Freilaufkörper abgezogen aber keinerlei Auffälligkeit oder gar Defekt feststellen können .. aber so richtig vertrauen tue ich der Nabe trotzdem nicht.

Bis auf die wenigen genannten Kritikpunkte hat das Genius 910 bei mir auf dem unbekannten Trail einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Der Trail hat zwar nirgends die ganzen 130 mm Federweg notwendig gemacht, aber die Art, wie das Genius mit dem Trail umgegangen ist und wie das Twin Loc dabei geholfen hat, war einfach klasse! Zuhause werde ich das Bike auf meinen gewohnten langen Uphills und schnellen Downhills fahren. Dafür werde ich andere Reifen montieren … und berichten wie sich das SCOTT Genius dort macht.

Grannygear