SANTA CRUZ Tallboy LTc – Kurztest: von c_g

Wir bekommen jedes Jahr wirklich viele verschiedene 29er Bikes zu fahren und testen, aber selten war ich so gespannt auf ein Testbike wie auf das SANTA CRUZ Tallboy LTc. Nach dem kurzen Vorgeschmack aus dem Kurztest mit dem SC Tallboy (hier) war für mich klar, dass das Tallboy LT ein hochspannendes Bike werden würde … wenn es gelingt den gleichen Grundcharakter beizubehalten. Wir hatten das Glück das erste in Deutschland existierende Tallboy LTc frisch aufgebaut für einen Kurztest zu bekommen.
Für die gesamten technischen Neuerungen und Merkmale der Tallboy LT Serie mit 135 mm Federweg am Heck möchte ich euch auf einen früheren Post verweisen, der anlässlich der damaligen Vorstellung der Tallboy LT Plattform gepostet wurde.

Optisch ist das Tallboy LT 100% der große Bruder des bisherigen Tallboy und wäre nicht die 142/12 Steckachse hinten und die andere Dämpferanlenkung (zum Unter- anstatt zum Oberrohr), könnte man sie auf den ersten Blick fast verwechseln.

Doch zuerst zum Aufbau des Testbikes: Unser tiefgelber Carbon-Rahmen (SANTA CRUZ nennt es „Solar Yellow“) kam mit einer Ausstattung die sich „SPX AM 29“ nennt – d.h. XT Komplettgruppe (3×10 Schaltung und XT-Bremsen), Fox Float F34 CTD Factory 29er Gabel und RP23 Factory Dämpfer (in Serie mit dem neuen CTD Factory Dämpfer), DT-SWISS Naben/WTB Frequency i23 Felgen und Maxxis Ardent Reifen.  Während man über die Reifenwahl diskutieren kann (für unsere oft wechselnden Verhältnisse, zählt der Ardent nicht zu meinen Favoriten J), ist die XT-Bremsanlage mit 180 mm vorne und 160 mm hinten definitiv für das Potential dieses Bikes unterdimensioniert! Ungewohnt (aber aus unserer Sicht willkommen), waren die komplett extern verlegten Schalt- und Bremszüge.
Dass trotz des extrem leichten Rahmens (SANTA CRUZ gibt 2355 g für den Vollcarbonrahmen des LTc an) bei der Ausstattung keine Gewichtsrekorde rauskommen war klar – moderate 12,85 kg sagt unsere Waage in der genannten Serienausstattung. Nur zur Info: Der Rahmen des Alu LT soll bei 3250 g liegen.

Weil wir ohnehin noch den Test der REYNOLDS MT29er Laufräder abschließen wollten (der Bericht ist hier erschienen), haben wir die Original-Lauräder unberührt gelassen und gegen die Carbon-REYNOLDS (mit CONTINENTAL Mountain Kings II) getauscht … was uns gleich 750 g eingespart hat.
Der Rahmen ist als Kit mit Dämpfer für stattliche € 3299.- zu haben oder in diversen Ausstattungsvarianten auch als Komplettbike – die getestete Version kommt auf € 6699,-. Schnäppchen sehen anders aus – aber dafür kauft man sich einen hohen Kultfaktor und State-Of-The-Art-Carbon-Rahmen J. Wer die identische Technologie (nur mit Schnellspanner-Hinterbau) günstiger haben will, bekommt dies in der Alu-Version des Tallboy LT.

Doch nun zu den Fahreindrücken des SANTA CRUZ Tallboy LTc:

Wir haben das SANTA CRUZ Tallboy LTc über etwa 2 ½ Wochen sehr intensiv gefahren – Testarena waren zum einen unsere gewohnten Trails, auf denen wir jedes Bike bewegen, aber auch alpine Trails. So fiel ein Kurztrip in die Schweiz gerade in die kurze Testphase und das haben wir natürlich nur zu gerne genutzt um weitere Höhenmeter (und Tiefenmeter) auf dem LTc zu sammeln.

HANDLING: Wer das „alte“ Tallboy kennt und gern mag, wird vom Tallboy LT garantiert nicht enttäuscht sein – es behält sehr viel von dessen agilem Handling und der grandios mittigen Sitzposition bei. Anders als manche der immer zahlreicher werdenen Long-Travel 29er Bikes konnte sich das LT viel Verspieltheit erhalten und macht auch auf engen Kursen richtig Spaß. Zugegeben, die Laufruhe nimmt beim LT etwas zu in kniffligen oder sehr schnellen Passagen merkt man, wie der etwas flachere Lenkwinkel noch mehr Sicherheit und Stabilität bringt, aber was das Handling angeht, mach das Tallboy LT als Trailbike (fast)überall richtig Laune.
Super auch wie präzise es sich dirigieren lässt – einer meiner Home-Trails hat eine kleine Bachquerung mit einem 10 cm breiten und 1,5 m langen Balken, an der ich bisher immer abgestiegen bin … doch das Tallboy LT lenkt sich derart präzise, das ich sie erstmals in beide Richtungen befahren habe. Ein großes Kompliment an die Lenkkopfsteifigkeit und Präzision des Rahmens der zusammen mit der verbauten FOX Float 34 wunderbar steif und direkt ist.

FEDERUNGSPERFORMANCE: SANTA CRUZ ist eine kleine Firma, die es sich erlaubt eigene Wege zu gehen. Die Federung des Tallboy vereint Effizient und Federungsperformance mit einem ganz eigenen Charakter und das LT setzt mit dem (von 100 mm) auf 135 mm angewachsenen Federweg noch einen drauf. Rein subjektiv fühlt sich das Heck „endlos“ an. Das liegt vor allem an dem sehr linearen Mittelbereich. Das LT ist zwar kein Sensibelchen was die kleinen Schläge angeht, obwohl es definitiv feinfühliger auf kleine Stöße reagiert als sein “kleiner Bruder“ aber sobald die Schläge größer werden wacht das Tallboy auf … und wie!! Alle mittleren und großen Schläge verschwinden dafür förmlich im Fahrwerk ohne dass das Feedback vom Untergrund dabei völlig weggedämpft würde … auf ruppigen, verblockten Trails und bergab ist das SANTA CRUZ Tallboy LT für mich eines der besten 29er Fullies, die ich kenne – egal ob schnell, flowig oder technisch und verwinkelt. Dazu kommt eine sehr sanfte aber effektive Endprogression und schon gelingen Sprünge und Drops wie im Schlaf – genial, wie das LT das macht!! Im Bikepark Lenzerheide habe ich das Tallboy LT dann so wirklich an seine Grenzen gefahren (inkl. Tables und 2 m Drops) und fand es selbst dort recht potent (wenn auch nicht völlig zuhause ;-)).

Dabei gehört das Tallboy zu den Bikes deren Federungsaktivität man als Fahrer sehr wohl wahrnimmt, nicht zu den Bikes, die unter dem Fahrer „verschwinden“ – aber es tut das in einer Art und Weise, die einfach Spaß macht.

Also alles perfekt? Nicht ganz. Zum einen quittiert der Hinterbau Sprints und  Wiegetrittattacken mit recht starkem Wippen was nur durch die maximale Plattform-Einstellung zu beruhigen ist (etwas, das viele Long Travel 29er gemeinsam haben) und zum anderen ist die Kinematik des VPP-Hinterbaus auf das mittlere Kettenblatt hin optimiert. Dort arbeitet der Hinterbau schön neutral und effizient, aber im kleinen Kettenblatt gibt es deutliche Federungseinflüsse. Diese sind fast völlig unterdrückt, solange man sich in einer „normalen“ Trittfrequenz bewegt, aber in echten Steilstücken, wo man unter maximalem Pedaldruck um jede Pedalumdrehung kämpft – d.h. in grenzwertig steilen Anstiegen – sind sie sehr wohl wahrnehmbar. Ich habe mich deswegen mit einem der SANTA CRUZ Entwickler unterhalten (Danke noch mal für deine Zeit, Nick) und die erfrischend offene Antwort war, dass dieser Kompromiss bei der Performance im kleinen Kettenblatt gemacht worden sei damit das Bike überall sonst eine optimale Federungsperformance entwickeln könnte und angesichts der genialen Funktion in allen anderen Aspekten glaube ich ihm das gerne. Damit wäre das Tallboy LT ein Premium Knadidat für die neue SRAM XX1 Gruppe, mit diese Schwachstelle fast völlig zu umgehen wäre.
Moderate Anstiege egal ob glatt und lose oder wurzelig und technisch schafft das Tallboy LT schön effizient. Die angesprochenen Pedaleinflüsse im kleinen Kettenblatt sind auch nicht nur negativ: Hat man sich in rauhem Anstiegen erst an das Feedback gewöhnt, hilft es sogar im Grenzbereich immer den richtigen Pedaldruck zu fahren. Kein Nachteil ohne Vorteil ;-).

AUSSTATTUNG: Zwar lag der Rahmen klar im Fokus des Tests, aber ein paar Worte zur Ausstattung des Testbikes müssen trotzdem sein – zumal es bei SANTA CRUZ neben Customaufbauten auch Standardkonfiguarationen gibt, wie am Testbike. Für klassischen Mittelgebirgseinsätze war alles funktionell und ohne Beanstandungen …  wenn auch etwas „gewöhnlich“ für einen solchen Rahmen. Aber auf den alpinen Abfahrten bleibt die ansonsten sehr gut dosierbare XT-Bremsanlage mit 180/160 Scheiben klar hinter dem Potential des Bikes zurück – hier gehört mindestens eine 180/180 Kombi hin. Auch hätte ich mir für die langen Anstiege eine absenkbare Gabel am LT gewünscht (wie sie in anderen Ausstattungsvarianten des LT angeboten wird), ebenso wie eine Dropper Sattelstütze. Diese Kritik gilt aber mehr für das spezielle Testbike und lässt sich leicht umgehen.

KURZTEST-FAZIT: Wie getestet war das Tallboy LTC eines der besten 29er-Trailbikes, die ich kenne. Die Geometrie und Sitzposition ist nahezu perfekt und erlaubt eine agile, aktive Fahrweise ebenso, wie das bei 29ern berüchtigte „Drüberrollen“. Dazu kommen das sehr direkte Handling und tolle Lenkpräzision … selten haben wir uns auf allen Trails und bergab (auf einem langhubigen 29er Fully) so viel Spaß gehabt, wie auf dem Santa Cruz Tallboy LTc.
Der Hinterbau arbeitet fast immer sensationell kontrolliert und macht auch in diesem Aspekt das Tallboy LTc zu einem phänomenalen Trailbike. Einziger und Haupt-Kritikpunkt sind die Pedaleinflüsse im kleinen Kettenblatt die die ansonsten perfekte Performance des Bikes beeinträchtigen, aber eben nur in extrem steilen Anstiegen wirklich zutage treten.
Wer also einen Kletterkünstler sucht und es liebt jeden noch so steilen Trail hochzukurbeln, muss sich mit dem Tallboy LT erst anfreunden, wem aber die allgemeine Trailperformance wichtiger ist und/oder ohnehin mehr im mittleren Kettenblatt (bzw. im kleinen Kettenbaltt bei ordentlicher Trittfrequenz) fährt, für den gehört das  Tallboy LTc zu einem der heißesten Trailbikes der Saison.
Wer mit einem SANTA CRUZ liebäugelt, macht sich über den extravaganten Preis ohnehin nur wenig Gedanken.

–> Unser Urteil – das SANTA CRUZ Tallboy LTc kombiniert einen hochmodernen, und sehr leichten und steifen Rahmen mit einer genialen 29er Geometrie und superber Trailperformance. Einzig die Schwächen in extrem steilen Uphills (man muss ja auch nicht immer alles fahren ;-)) und die beim Testbike nicht 100% stimmige Ausstattung trüben für mich etwas das sehr positive Gesamtbild des Bikes.

RIDE ON,
c_g

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Zusatzanmerkung: Gerade als ich den Testbereicht zum Tallboy LTc abschließen wollte, bot sich die Gelegenheit auch das LTa, also den Alu-Rahmen des Tallboy LT in fast identischer Ausstattung, aber mit ´13er CTD Dämpfer, für ein paar Tage zu fahren und mal abgesehen von dem (im Trail nicht so gravierenden) Mehrgewicht hat auch dieses ungemein viel Spaß gemacht – ein tolles Trailbike, das nur im steilen Uphill Kompromisse eingeht.