26-Zoll / 650b / 29er – Formatvergleich im Praxistest: von c_g

Vor einiger Zeit hatten wir die 650b-Testserie (oder 27,5“, wie sie auch genannt werden) angekündigt (hier). In den letzten Wochen hatten wir die Gelegenheit erste Erfahrungen mit dem neuen Format zu sammeln und mit den beiden etablierten Formaten zu vergleichen … mit für uns überraschenden Ergebnissen.

Doch zuerst werfen wir eine Blick auf die Hauptakteure – die Laufräder und Reifen. Obgleich immer mehr Firmen ihre 650b Produkte für 2013 ankündigen (wie SCHWALBE oder DT-SWISS in der Produktvorstellung hier und hier) und wir zur Eurobike ein wahre 650b Schwemme erwarten, ist aktuell recht schwer die jeweiligen Komponenten wirklich zum Test zu bekommen.

Also haben wir uns auf die Suche gemacht und sind bei WTB  und TUNE fündig geworden.

WTB („Wilderness Trail Bikes“) (www.wtb.com und www.wtb-bike.eu) war so freundlich je Format einen Satz der Wolverine 2,2“ Race zur Verfügung zu stellen. Die Reifen bieten bei rund 54 mm Karkassenbreite ein massives Volumen und ein schnelles Allroundprofil.

Der VK des WTB Wolverine 2.2 liegt je nach Format zwischen € 42.- und 44.-.

 

TUNE (www.tune.de), die auch als Vertrieb für NOTUBES agieren, hat uns sogar drei exklusive Laufradsätze aufgebaut – je einen in jedem Format. Dabei hat man nicht geknausert und nur edelste Komponenten gewählt:

  • TUNE King/Kong Naben (superleicht bei 114 & 203 g,  kompatibel für diverse Standards)
  • SAPIM D-Lite Speichen
  • NOTUBES ZTR Crest Felgen (ein der ersten Felgen in allen Formaten mit großer Maulweite von 21 mm bei gleichzeitig sehr geringem Gewicht)

Der Laufradsatz ist traditionell mit 32 Speichen und 3-fach gekreuzt aufgebaut und bei TUNE gegen € 735.- zu haben. Neben der vorgestellten Konfigurationen gibt es diverse weitere Optionen.

Um die Laufräder zu komplettieren hat uns SRAM (www.sram.com) noch drei SRAM XG-1080 Kassetten und AVID HS1-Bremsscheiben geschickt, damit auch wirklich alle Formate mit identischen Vorraussetzungen starten.

Mit der Kombi waren wir bestens gerüstet für einen wirklich fundierten und aussagekräftigen Vergleichstest. Hierfür an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank, denn ohne eure Unterstützung wäre der gesamte Vergleich noch nicht möglich gewesen.

Hier eine kleine Tabelle mit den betreffenden Maße und Gewichte:

Bereits beim ersten Blick fällt auf, wie gering der Sprung zwischen 26“ und 650b im Gewicht ausfällt (nur 119 g), wohingegen der Sprung zum 29er schon ganze 353 g ausmacht. Kein Wunder, denn der Sprung im Durchmesser von 559 mm (bei 26“) zu 584 mm (bei 650b) ist geringer, als von 650b zu den 622 mm des 29ers. Dementsprechend ist die Bezeichnung 27,5, also der exakter Mittelweg zwischen 26“ und 29“ genauso irreführend, wie der Name „29er“ selbst.

Ich könnte jetzt Seiten füllen zu dem potentiellen Anwendungsbereich von 650b, dessen Chancen im Markt, Einschränkungen usw. … aber ganz ehrlich; am meisten interessiert mich, ob oder wie sich 650b-Laufräder wirklich fahren.

Daher ohne weitere Theorie- direkt zur ersten Phase des Tests:

Als Testplattform habe ich das Bike reaktiviert, mit dem ich erstmals 29er probiert habe – einen modifizierten 1999er KONA King Kahuna Titanrahmen, an dem mittels speziell gefertigter Slider-Ausfallenden alle 3 Laufradgrößen fahrbar sind. Zugegeben, alle drei Formate auf einem Rahmen zu fahren stellt einen groben Kompromiss dar, aber nur so kann man die beteiligten Variablen auf ein Minimum reduzieren.
Für diese erste Testrunde ist das Bike als Starrbike aufgebaut, für das uns die junge deutsche Bike Marke APACE BIKES (von der wir u. U. bald noch mehr hören werden) ihren bisher einzigen 29er Titan-Starrgabel-Prototypen zur Verfügung gestellt hat. (Das Foto zeigt Sören, den Kopf hinter APACE, bei der Übergabe der Gabel.)

Ob wir auf diesen Test gespannt waren?? Und wie!!!

Mittlerweile bin ich so auf 29er eingefahren, dass ich echt gespannt bin, wie sich wohl die 26“ Laufräder auf dem Bike anfühlen würden. Und wie steht es mit der „40%-Lösung“, wie die 650bs von Spöttern gerne genannt wird. Merkt man den Unterschied zu den anderen Laufradformaten? Und wenn ja … wie deutlich?

 

… doch nun zu den puren Fahreindrücken:

26-ZOLL:

Als erste waren die „kleinen Laufräder“ (sprich 26“) im Test dran: Auf denen habe ich erstmal eine gesamte Woche verbracht, damit ich mir nicht selber vorwerfen kann ich würde ihnen keine echte Chance geben oder ich hätte mich nicht ausreichend daran gewöhnen können ;-).

Es war definitiv verblüffend wie leicht die Laufräder zu beschleunigen waren (in der Woche habe ich soviel am Berg attackiert, wie selten zuvor – ob mit oder ohne Gegner :-)) , aber bereits auf den ersten Trailausfahrten wusste ich warum ich seinerzeit auf 29er umgestiegen bin. Wurzelstrecken, auf denen ich es sonst selbst mit einem 29er Starrbike einfach laufen lasse, wurden zur Halteprobe für meine Handgelenke und regelmäßig musste ich in Kurven Tempo rausnehmen um nicht die Kontrolle zu verlieren. Zu stark ist das Bike zwischen Wurzeln „eingesunken“, hat mich durchgeschüttelt und ist bei kleineren und mittlerern Hindernissen ins Springen gekommen. Keine echte Freude – eher puristische Nostalgie!!

–> Meine Meinung: Es sei denn einem gehen Sprinteigenschaften und Beschleunigung über alles, halte ich 26“ fahren zu müssen, für eine Strafe – jedenfalls wenn man auf einem Starrbike richtige Trails fahren will.

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27,5-Zoll:

Nun war das „Neue“ Format dran. Allein aus logischen Überlegungen heraus ist das Format für mich am Hardtail einem 29er unterlegen – bis auf das geringere Gewicht, spricht nicht viel wirklich dafür. Und sooo groß wird der Unterschied gegenüber einem 26“ wohl auch nicht sein, oder?

Weit gefehlt! Bereits auf den ersten Trailmetern, wurde deutlich, dass das Überrollverhalten deutlich besser ist, als beim 26-Zöller. Und mit „deutlich“ meine ich weitaus besser, als die 40% vermuten lassen. Dabei blieb die Verspieltheit des Bikes und gute Beschleunigung zu einem großen Teil erhalten. Innerhalb der kurzen Testphase von (wieder) einer Woche, habe ich mich an das Mittelmaß nicht nur gewöhnt, sondern meine ursprüngliche Skepsis durch 1.Hand Praxiserfahrungen regelrecht widerlegt gefunden.

–> Ja, ich gebe es zu, meine ersten wirklichen Praxis-Erfahrungen mit dem 650b-Format an einem Bike, waren weitaus positiver, als ich es selber erwartet hätte und ich bin neugierig, was die weiteren Tests erbringen werden.

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29er:

Das Kona King Kahuna mit den Big-Wheels zu fahren, war wie „Nachhause“ kommen, hatte ich doch zahhlose Kilometer auf diesem Bike in meinen 29er Anfängen verbracht.
Erwartungsgemäß rollen die 29er-Laufräder weiterhin am besten über Hindernisse, ermüdet am wenigsten in ruppigen Passagen und erzeugt die höchste Fahrstabilität. Doch mit den vorhergehenden Erfahrungen auf den anderen Formaten (und dem identischen Bike), kann ich etwas besser verstehen, wie für manche Fahrer die hohe Spurtreue und langsamere Beschleunigung unter Umständen doch etwas zu viel des Guten sein kann.

–> Für lange Touren oder für ihr Überrolverhalten in technischem Gelände möchte ich die 29er Laufräder nicht missen – aber der Abstand zu den 650b Laufrädern ist (für mich) weniger deutlich als erwartet. Zumal, das „Mittelmaß“ wirklich in der Beschleunigung und Verspieltheit auftrumpfen kann.

Aber dies war erst die allererste Phase der Serie – mehr ein erstes Herantasten als wirklicher Test … aber nicht weniger spannend. Weiter geht´s  mit dem Vergleich der Laufradgrößen: Nur diesesmal werden wir uns nicht nur „sortenrein“ fortbewegen, sondern die Laufräder am Bike gegebenenfalls mischen – denn warum sollte man nicht die Vorteile eines Formats vorne mit einem anderen Hinterrad komplettieren. Wir werden sehen und darüber berichten.

RIDE ON,
c_g


Ps: Als abschließende Gedanken möchte ich noch folgendes anmerken. Aktuell sehe ich eine neben den klassischen Anwendungsbereichen (Long-Travel Fully jenseits von 140 mm Federweg und kleinere Rahmengrüßen) auch im Nachrüstmarkt eine echte Chance für 650b-Laufräder. Zwar lassen sich nur wenige 26-Zoll Fullies umrüsten, aber dafür gestaltet sich die Umrüstung von 26-Zoll Hardtails oft sehr einfach – manchmal, aber bei weitem nicht immer, ist ein Federgabeltausch notwendig, aber sonst kann man alles übernehmen.
Und wie meine Versuche bisher klar zeigen konnten, sind die Vorteile sehr wohl positiv spürbar. Diese Umrüstung ist zwar auch nur ein Kompromiss, könnte aber mehr Fahrer günstiger in den Genuss von „Fast-Big-Wheels“ bringen, die dafür nicht komplett neue Bikes zu kaufen bräuchten. Wer weiß vielleicht würde ihr nächstes Bike dann ein echter 29er ;-).